An diesem Morgen ist nicht alles, aber vieles anders. Der Fotorucksack ist gepackt mit allem, was ich brauche und die Woche liegt mir, wie immer, schwer in den Knochen. Alles wie gewohnt. Das Ziel ist aber diesmal ein anderes. An diesem Tag gehe ich dem Ring fremd, obwohl dort die RCN startet. Tractor pulling ist angesagt.

Es ist 12 Jahre her, daß ich das erste (uns bisher einzige) mal beim Tractor pulling dabei war. Es ist eine andere und für viele ungewöhnliche Art von Motorsport, doch es hat auch seinen Reiz. Nicht jedermanns Sache und ein Bißchen frage ich mich, welcher Teufel mich geritten hat, mehr als 250 Kilometer Anreise auf mich zu nehmen. Auf der anderen Seite habe ich auch ein Bißchen Kribbeln im Bauch. Die letzten Monate habe ich fast nur auf dem Ring fotografiert, da tut etwas Abwechslung gut.

Gedanken an ein bestimmtes Motiv habe ich mir schon gemacht, deswegen packe ich extra noch das 50/1,4-Objektiv ein. Normalerweise nehme ich es nicht mit, aber diesmal wird es auch für ihn Motive geben. Bei der Wahl der Schuhe gehe ich keine Experimente ein und ziehe meine gut eingelaufenen „Nordschleifen-Schuhe“ an. Man könnte unken, Tractor pulling finde immer irgendwo auf dem Acker statt (und wäre damit nicht so weit von der Wahrheit entfernt), da ist gute Ausrüstung gefragt. Um das Paket aufzurunden, ziehe ich extra mein EiFelkind-T-Shirt an. Mag dabei beim Pulling zwar fehl am Platz aussehen, es macht mir aber nichts aus. Im Gegenteil, ich finde es ein wenig lustig, bei einem „artfremden“ Motorsport-Event die EiFelkind-Fahne hochzuhalten.

Die Wettervorhersage verspricht etwas Regen am Nachmittag, genau zu der Zeit, als die Pulls stattfinden sollten. Ich überprüfe nochmal die Berichte. Die vorausgesagte Regenmenge scheint gering zu sein, also keine Sorge. Und wenn es doch anders kommen sollte, was soll’s. Wer soviel in der Eifel unterwegs ist, der ist wetterfest. Ein Paar Tropfen norddeutscher Regen können mir nichts ausmachen.

Mit genug Zeitreserve geht es auf dem Weg. Die A1 Richtung Norden ist trotz der vielen Baustellen an diesem Tag angenehm zu fahren. In diese Richtung bin ich seit mehr als einem Jahr nicht gefahren. Genauer gesagt, seit meinem Ausflug nach Neuharlingersiel letztes Jahr. Bei Münster überhole ich den Teamtruck vom Team Green Monster. „Die Jungs und Mädels sind aber spät dran“, denke ich mir. Egal. Man sieht sich in Edewecht.

Die Anreise vergeht wie im Flug, so komme ich eine halbe Stunde vor dem offiziellen Einlass an. Einige Erwartungen bestätigen sich. Die Bahn befindet sich tatsächlich mitten auf einer Wiese, die von dem Regen der letzten Tage aufgeweicht ist. Ich bin froh um die Nordschleifen-Schuhe.

Die Wartezeit auf den Einlass vergeht etwas zäh. Dann gilt es, die erste Hürde zu überwinden. Der Strom fällt aus, so kann man an der Kasse mein Ticket nicht lesen. Man merkt schon, daß man mitten in der Pampa ist. Egal, irgendwann ist auch dieser Moment um. Ich packe die Kamera aus und gehe ins Fahrerlager.

Die ersten Teams haben ihre Traktoren schon aus den Trucks geholt, so gibt es einige Motive. Ich wundere mich ein Bißchen über die mit Polyethylenfolie umwickelten Reifen bei einigen Traktoren. Interessant, und daran merke ich, daß ich ein Neuling bin, was Pulling betrifft. Ein Insider wüßte die Antwort sofort. Fotografisch betrete ich ein wenig auch Neuland, jedoch verlasse ich mich einfach auf mein Auge für Motive. Dauernd wechsle ich zwischen dem 50er Festbrenner und dem Ultraweitwinkel. Die Speicherkarte füllt sich langsam, auch wenn ich relativ sparsam damit umgehe. Die Zeiten, wo ich bei jeder Kleinigkeit auf den Auslöser gedrückt habe, sind längst vorbei. Der locker-flockig bewölkte Himmel tut sein übriges, um einige der Traktoren richtig spektakulär aussehen zu lassen.

Fotografisch ist das Fahrerlager schnell abgefrühstückt, so genehmige ich mir ein Seelachs-Brötchen, bevor es an die Bahn geht. Es ist schon ziemlich voll, doch mit etwas Gück erwische ich einen Platz ganz vorne an der 70 Meter-Marke. Noch anderthalb Stunden, bevor es losgeht. Egal, den Platz gebe ich nicht her. Ich setze den 50-150er Tele auf die Kamera, baue mein Einbeinstativ zusammen und überprüfe die Einstellungen. Passt alles. Die Wartezeit vertreibe ich mir mit Mitziehern von den Traktoren, die die Bahn vorbereiten. Die Einstellungen stimmen und, was Mitziehern betrifft, scheint die Sache eine einfache Angelegenheit zu werden. Ich lege mir eine für Nürburgring-Verhältnisse pervers lange Verschlusszeit auf, und trotzdem scheint es zu gelingen. Das lässt auf mehr hoffen.

Langsam rückt der Start des Pullings immer näher. Schon erspähe ich Ulf Schnackenberg neben der Bahn. Der Mann ist eine feste Größe in der Szene, seit mehr als 20 Jahren moderiert er Tractor pulling quer durch Deutschland und scheint nicht nur jede und jeden zu kennen, sondern auch eine wandernde Enzyklopädie des Pullings zu sein. Ich halte einmal mit der Kamera auf ihn. Wir kennen uns nicht, doch als er mich bemerkt, zeigt er mit dem Daumen nach oben. Leider wird das Foto davon verwaschen durch die lange Verschlusszeit. Egal, man kann nicht alles haben.

Es wird Zeit für die Pulls. Der erste Traktor wird vor dem Bremsswagen gespannt und ich gehe mit der Kamera in Stellung. Die grüne Flagge wird geschwenkt und schon geht es mit ohrenbetäubendem Lärm los. Ich bin froh, mir rechtzeitig die Ohrenschützer reingemacht zu haben. Wer noch nie beim Pulling dabei gewesen ist, der könnte in dem Moment sein lautes Wunder erleben.

Fotografisch wird es im Vergleich zum Ring eine einfache Angelegenheit und eine Orgie zugleich. Wer die Geschwindigkeiten am Ring gewohnt ist, für den wären Mitzieher beim Pulling fast ein Nachmittagsspaziergang. Dazu hat man noch genug Zeit zwischen den Pulls, zumindest auf dem Kameradisplay die Fotos zu überprüfen. Ich staune nicht schlecht. Gestochen scharf und kaum Ausschuss. Mein Herz schlägt höher. Mein Maximalziel, von jedem Traktor ein scharfes Foto zu haben, rückt schon nach dem ersten Pull in greifbare Nähe. Bitte mehr davon!

Die Pulls gehen weiter, so gilt es weiter, das ganze in Bildern festzuhalten. Wenn ich ganz pedantisch wäre, würde ich mir den Namen jedes einzelnen Traktors merken und irgendwie notieren. Darauf verzichte ich. Airbus One, Der Rächer, Feldjäger, Red Hurricane, Lady in Red und wie sie alle heißen ziehen an meiner Linse vorbei und bescheren mir gute Bilder. Es mag Hubris sein, aber in dem Moment bin ich mir sicher, genau so gute Bilder zu machen wie die akkreditierten Fotografen. Erfahrung zahlt sich aus.

Plötzlich kommt der vorhergesagte Regen. Es ist ein kurzer, aber intensiver Regenguß. Gerade noch rechtzeitig kann ich die Kamera ins Trockene packen, während die Bahn abgedeckt wird. Mein EiFelkind-T-Shirt wird nass. Egal, bin wetterfest. Eifelwetterfest. Der Regen geht vorbei, wie er gekommen ist.

Weiter geht es mit den Pulls der Modified-Klassen. Der eigentliche Grund, wieso ich nach Edewecht gefahren bin. Man kann über Pulling sagen, was man will, diese Monster sind die Spitze des Sports und geben in jeder Stellung ein gutes Fotomotiv ab. Am besten auf der Bahn, in ihrem Element. Es ist ein einmaliges Erlebnis, wenn so ein Ungetüm an einem vorbeizieht und man die Erde unter sich vibrieren spürt. Pure Power, und das nicht zu knapp. Mehrere Tausend PS hat jede dieser Maschinen drauf. Wenn man Ulf Schnackenberg und seinen Angaben glauben schenkt, bis zu 10 000. Motorsport am Limit.

Dass man wirklich am Limit ist, merkt man an den Pulls. Der Iwan bricht noch vor dem Anfang mit technischem Defekt ab. Beim Beautiful Noise verliert plötzlich mitten im Pull der eine von vier Motoren an Leistung. Laut Fahrer Zahnriemen für den Gebläseantrieb gerissen. Beim Green Fighter bricht die Vorderachse nach einem harten Aufsetzer auf die Bahn. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen.

Man könnte unken, diese Traktoren wären hochgezüchtete Maschinen, die vor lauter Kraft kaum rollen können. Ich finde es faszinierend. Dabei scheint alles so hautnah und die Technik ist einfach atemberaubend. Flugzeug-, Panzer-, Torpedobootmotoren oder Gasturbinen aus ausgedienten Kampfhubschraubern, genommen wird alles, was genug Leistung aufbringen kann. Man könnte über den Sinn oder die Sinnlosigkeit des ganzen nachdenken, denn am Ende gewinnt immer der Bremswagen, doch der Anblick dieser Maschinen ist einmalig.

Langsam wird es dunkel. Zu dunkel für gute Fotos, selbst bei ISO 2000. Ich bin glücklich, daß der Veranstalter die freien Klassen noch bei Tageslicht starten ließ. Eigentlich sollte ich an die Organisatoren eine E-Mail schreiben und mich dafür bedanken. Wer weiß, vielleicht mache ich es. Vielleicht schicke ich denen einfach einen Link zu dieser Story. Ich weiß es nicht. Während die letzte Klasse des Tages an den Start geht, mache ich mich auf dem Weg durch die Menge und esse unterwegs noch ein Fischbrötchen, bevor es an die lange Fahrt nach Hause geht.

Zuhause komme ich mitten in der Nacht an und mache mich an die Fotos. Die Erwartung bestätigt sich – ich werde mit einem Luxusproblem konfrontiert. Es ist nicht nur von jedem Traktor ein gutes Foto dabei, sondern gleich mehrere. Gemessen an meiner Ring-Erfahrug muss ich herzlich wenig Ausschuß aussortieren und löschen und habe bei jedem Motiv sogar die Wahl. Luxusproblem.

Das Problem zeigt sich spätestens, als ich die Fotos hochladen will. Selten habe ich so eine große Auswahl gehabt. Technisch und auch vom Motiv her sind die meisten einwandfrei. Welche nehme ich? Im Endeffekt wähle ich die „besten der besten“ und muss an Tom Klein, meinem Fotografie-Lehrmeister denken, der dieses Prozess als „kill your darlings“ bezeichnet hat. Wie recht er damit hat! Allerdings muss ich zugeben, damit fühle ich mich sehr wohl.

So wohl, daß ich mir vornehme, auch beim nächsten Tractor pulling dabei zu sein.

P.S. Eine kleine Auswahl an Fotos finden Sie hier.

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